01.11.2002 PDF

Wer Standort frißt, ist angepißt

Arbeitskreisankündigung

Staaten haben Zölle abgeschafft, den freien Währungsmarkt und freien Kapitalverkehr eingerichtet. Dadurch ist es Kapitalisten möglich, die Produktionsbedingungen in den Staaten unmittelbar miteinander zu vergleichen und den günstigsten Standort für eine effektive Produktion zu finden. Das einmal durchgesetzt, müssen Kapitalisten den Vergleich der Standorte vollziehen, um in der Konkurrenz bestehen zu können.
Das Interesse kapitalistischer Staaten ist Reichtumssteigerung innerhalb ihrer nationalen Territorien. Das bedeutet heute, daß tendenziell für deren gesamte Produktion immer wieder die Bedingungen hergestellt werden müssen, damit diese weltmarkttauglich ist. Das betrifft nicht nur die Exportgüter, sondern auch die Produktion für den nationalen Markt, die genauso der internationalen Konkurrenz ausgesetzt ist. Die Weltmarkttauglichkeit entscheidet darüber hinaus, ob Kapital aus aller Welt sich das nationale Territorium als Standort wählt oder im Gegenteil bisher angesiedeltes Kapital abwandert. Maßstab dafür sind international schon durchgesetzte Produktionsbedingungen, denen sich die Staaten nicht nur anpassen, sondern die sie auch zu übertrumpfen versuchen. Damit setzen sie immer wieder verschärfte Maßstäbe, an denen sich andere Staaten zu orientieren haben. Die Umsetzung der Produktionsbedingungen findet ihren Ausdruck in der Standortpolitik eines Staates.
Um Kapitale zu halten und anzuziehen orientiert sich Standortpolitik vermehrt an der Kalkulation der Kapitalisten: Die Unternehmenssteuer z.B. war schon immer ein Problem. Einerseits ist sie ein Abzug vom Gewinn und damit vom Mittel der weiteren Reichtumssteigerung, andererseits eine wichtige Finanzquelle, um die Bedingungen der Reichtumssteigerung zu sichern: Ausbau der Infrastruktur, sowie Förderung des Gesundheits- und Bildungssystems. Heute wiegt die Belastung der Kapitale schwerer, die Unternehmenssteuer wird gesenkt. Bildung wird verstärkt darauf zugeschnitten, möglichst schnell brauchbare Arbeitskraft frei zu setzen. Lohnniveau und Sozialausgaben können heute nicht niedrig genug sein, um die Attraktivität des Standorts zu erhöhen. Dafür setzt die Politik sich ein und hat in Deutschland mit dem Sozialstaat ein wirkungsvolles Mittel darauf Einfluß zu nehmen.
Die soziale Hängematte für arbeitslose Schmarotzer soll es nicht mehr geben. Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen. Was man heute als soziale Hängematte bezeichnet, war schon damals kein Freischein für bezahlten Urlaub. Schon früher waren Arbeitslose nicht mehr als disponible Arbeitskraft, die ihre Arbeitswilligkeit ständig unter Beweis zu stellen hatten. Die behördliche Entscheidung über die Zumutbarkeit einer Stelle war auch damals ein gängiges Mittel, Leute zur Arbeit zu jagen. Was Sozialhilfe und Arbeitslosengeld immer sichern sollten, ist nicht das schöne Leben in Freiheit und Unabhängigkeit, sondern der Arbeitererhalt für zukünftige Einsätze im Produktionsprozeß. Unter der Maßgabe der Standortkonkurrenz stellt sich heute das Problem der hohen Arbeitslosigkeit folgendermaßen dar: Die Sozialkassen werden belastet, weil mehr Menschen ihre Leistungen beanspruchen, was die Beiträge für diese Leistungen erhöht. Das wiederum erhöht die Lohnnebenkosten, die paritätisch von Arbeitgeber und -nehmer für die Sozialversicherung entrichtet werden. Für das Kapital sind erhöhte Lohnnebenkosten erhöhte Produktionskosten. Das bedeutet unter Weltmarktbedingungen einen Konkurrenznachteil. Darauf reagiert die Politik, indem Leistungen für Arbeitslose gekürzt werden. Durch verschärfte Kriterien der Zumutbarkeit von Stellen sollen die Arbeitslosenzahlen gesenkt werden. So sollen die Sozialkassen entlastet werden. Arbeitslose werden gezwungen, schlechter bezahlte Stellen anzunehmen bzw. in den Niedriglohnbereich gedrängt. Durch diesen wird die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verschärft und so die Löhne überhaupt gesenkt. Zudem wird die Parität bei der Finanzierung der Sozialbeiträge aufgegeben: Die Lohnnebenkosten werden gesenkt; der Arbeiter muß jetzt ein Mehr an eigenen Ausgaben für die soziale Absicherung mit dem gleichen Lohn wie zuvor besorgen.
Der Arbeiter ist so frei wie er es noch nie war: Er ist frei von Produktionsmitteln, er ist frei sich auf dem Arbeitsmarkt selbst zu vermarkten und er ist frei seine soziale Fürsorge selbst zu managen. Die Freiheit sich selbst zu vermarkten, die der Arbeiter schon immer hatte, sieht jetzt so aus: Er muß mobil und flexibel sein, er darf nicht krank werden und nichts kritisieren, muß jede Überstunde und Lohnkürzung hinnehmen. Wenn er an dieser Art Freiheit scheitert, hat er das aktuelle gesellschaftliche Erfolgskonzept nicht gut genug genutzt, wird arbeitslos oder landet im Niedriglohnbereich. Aber da will niemand hin, schließlich will man doch so angenehm wie möglich leben. Das verlangt, sich die Anforderungen der Standortpolitik zu eigen zu machen. Wer will, daß sein Arbeitsplatz erhalten bleibt, um nicht im Niedriglohnsektor zu landen, dem muß der Erfolg seines Unternehmens am Herzen liegen und damit staatliche Wirtschaftskonzepte, die die Annäherung des eigenen Lohns an den Niedriglohnsektor zur Konsequenz haben. Die Vorstellung des angenehmen Lebens scheitert für den Arbeiter notwendig an seiner Rolle im Produktionsprozeß.
Manche Leute meinen, die Politik würde heute das Allgemeinwohl zugunsten der Unternehmen vernachlässigen. Wir sagen, in der Standortpolitik geht es um das Allgemeinwohl und das setzt sich im Kapitalismus sich immer gegen den Einzelnen durch. Kapitalismus ist nicht das Mittel zum Zweck des Wohlergehens aller, sondern ist sich selbst Zweck. Der Mensch taucht dabei nur als Mittel auf. Der Staat ist kein Dienst am Menschen und war es auch nie, sondern garantiert nur den Bestand der Arbeitskraft für das Kapital in guten wie in schlechten Zeiten. Im Kapitalismus sind immer schlechte Zeiten, denn die Produktion kann nie gut genug laufen. Heute werden die Maßstäbe dafür in der Konkurrenz der Staaten ständig verschärft. Jeder Staat versucht generell dem Kapital die besten Bedingungen zu bieten und sich dadurch gegen die anderen Staaten heute als Standort durchzusetzen. Deshalb erlaubt der Staat auch nicht die Aussicht auf bessere Zeiten, sondern gibt nur die Anleitung zum Überleben durch Mitmachen. Mehr als nur Überleben wollen, heißt Nation und Kapital abschaffen!
Standort wird heute als Begründung für alles und nichts gebraucht, ist aber kein Begriff, der sich aus sich selbst erklärt. Wir haben zur Klärung dessen im Text einige Punkte angerissen und wollen die mit Euch im AK diskutieren. Weitere spannende Fragen, die in die Diskussion mit eingehen können, sind:
Ändert sich am Staat grundsätzlich etwas, weil er Standort ist?
Ist der Sozialstaat in die Nähe "amerikanischer Verhältnisse" gerückt?
Was bedeutet die widersprüchliche Position, in der der Arbeiter sich bezüglich des Lohns befindet?
Wie wirkt sich die Standortpolitik in Deutschland auf den Korporatismus aus?