01.11.2002 PDF

Ich-Unternehmer in verschärfter Konkurrenz

Du bist Deine eigene Chance

Arbeitskreisankündigung

"Für den Unternehmer seiner selbst hat es nichts Anrüchiges, 'sich gut zu verkaufen', im Gegenteil: Genau daraus bezieht er sein Selbstwertgefühl. Er führt sein Leben als permanentes Assessment Center und weiß, daß es nicht reicht, Kompetenzen vorzuweisen, sondern vor allem darauf ankommt, diese zugleich als authentischen Ausdruck der eigenen Persönlichkeit erscheinen zu lassen."(1)

Daß es heute nicht mehr ausreicht, nach einem halbwegs passablen Schulabschluß eine Ausbildung zu machen, um die eigene Arbeitskraft verkaufen zu können, ist mittlerweile Allgemeingut. Wer heute seine Haut zu Markte tragen will - und das wollen alle, weil sie's müssen - ist als ganze Persönlichkeit gefragt. Der nine-to-five Job ist so tot, wie die Festanstellung. "Lebenslanges Lernen" heißt lebenslange Konkurrenz - und die erfordert heutzutage rastlos-restlosen Einsatz. Die Karriereplanung beginnt im Kindergarten, das Gefühlsleben wird professionell gemanagt, die Freizeit sinnvoll genutzt.
Das gilt nicht nur für outgesourcte Scheinselbständige. Es gilt für einen immer weiter wachsenden Anteil nicht nur der Arbeitskräfte, sondern der Gesamtbevölkerung. Marktförmige Mechanismen, die es allen als vernünftig erscheinen lassen, das zu wollen, was sie sollen, sind allgegenwärtig. Die Selbstzurichtung kennt keine Grenzen, weder zeitliche noch psychische. Wenn früher beispielsweise Arbeit und Freizeit gerade in ihrer Getrenntheit aufeinander bezogen waren, verschwimmt die Trennung immer mehr.
Das war schon immer das Programm bürgerlicher Herrschaft: Die Selbstunterwerfung des Individuums unter die von ihm mitgeschaffenen Verhältnisse. Selbstbestimmung ist die autonome Form des Gehorsams.(2) Insoweit ist die Entwicklung vom Untertanen und Lohnsklaven hin zum Aktivbürger und Ich-Unternehmer auch nur die Herausbildung der passenden Form der sich weiter entwickelnden kapitalistischen Verhältnisse.
Aber was heißt hier eigentlich "auch nur"? Wenn unter den Bedingungen der verschärften Standortkonkurrenz der Konkurrenzkampf der Individuen sich auch verschärft, wenn dafür alles, was nicht gerade jemand anderem gehört, zur vernutzbaren Ressource des Ich-Unternehmers wird, wenn die Versubjektivierung des Zwangs so total wird, daß er als Zwang kaum noch wahrgenommen wird - dann hat das Folgen.
Die Folgen sind das eine Thema der AG. Was bedeutet das alles für das Alltagsleben? Wie weit funken diese Anforderungen in den "psychischen Haushalt" hinein und wie verändern sie Ausmaß und Ausdrucksform von psychischen Leiden? Hat das was und wenn ja was, mit dem Esoterik-Boom seit den 80ern zu tun? Wie verändern sich die Ideologien, die ja falsche Übersetzungen verkehrter Verhältnisse sind? Sind die Ich-Unternehmer der Zukunft nur noch rassistisch gegen die, die nicht gebraucht werden, kaum noch antisemitisch und berechnen Nutzen und Schaden der Nation nur noch in Euro oder Dollar, oder kocht die ganze Scheiße auf gleicher oder höherer Stufe weiter?
Die Gründe sind ein weiteres: Ist das alles Postfordismus, Toyotismus, Neoliberalismus, Globalisierung? Korrespondieren verschärfte Staatenkonkurrenz und Verschärfung der innergesellschaftlichen Konkurrenz, ist eins der Grund für's andere? Oder sind das beides Folgen von irgend etwas drittem (Wegfall des Realsozialismus, veränderte organische Zusammensetzung des Kapitals)?
Und dann sind da noch die Konsequenzen: Wenn nunmehr Autonomie, Subjektivität und Selbstbestimmung verwirklicht sind, was machen jetzt die Linken, wo sie so schön zur Vervollkommnung bürgerlicher Herrschaft beigetragen haben? Wenn bürgerliche Ideale und kapitalistische Wirklichkeit immer weniger auseinanderfallen, macht dann die Linke endlich mal radikale Kritik? Liegt es am Bewußtsein der Ich-Unternehmer, daß immer weniger Leute mit radikaler Kritik erreichbar sind?

(1) Bröckling, Ulrich: Totale Mobilmachung. In: Bröckling/ Krasmann/ Lemke: Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/M: Suhrkamp 2000, S. 160.
(2) Wie der Begriff schon sagt, bestimmt mensch über sich selbst - und sonst über nichts. Mensch ist also abhängig von denen, die über mehr bestimmen, als nur über sich selbst, z.B. über Geld, Wohnungen oder Arbeitsplätze.