24.05.2010 PDF

Das zwanghafte Wollen der Hirnforscher

Thesen zur populären Hirnforschung

"Die Menschen sind eben so wie sie sind und daran kann man auch nichts ändern. Sie folgen nur ihrer Natur.“
Diese ach so tiefen Welteinsichten begegnen einem immer mal wieder in der politischen Arbeit. Sie sind meistens nur dem Unwillen des Redners geschuldet, selber etwas zu verändern. So dient diese Einsicht für gewöhnlich dem Arrangement mit dem Bestehenden. Da kommt es ganz gelegen, wenn diese Position nun auch aus der Naturwissenschaft den Rücken gestärkt bekommt. Die Naturwissenschaften sind ja schließlich zuständig für die harten Fakten, denen sich niemand entgegenstellen kann. Und das stimmt ja auch zum Teil: Ein Naturgesetz kann ich nicht ändern, sondern nur gezielt nutzen. Die Auswirkungen der ‚Fallgesetze’ gelten immer, lassen sich aber zum Beispiel beim Sport (einige Geschicklichkeit vorausgesetzt) auch wunderbar nutzen, um mit einem Ball zu spielen. Im großen Stil werden Naturgesetze in der Industrie eingesetzt, die aus der Erkenntnis der zugrundeliegenden Gesetze die Technik gewinnt, mit der sie sich vom einfachen Naturzusammenhang befreit (doch dazu später mehr). Auch in der Medizin hat der Mensch z. B. über die Chemie und Biologie so einiges über seinen eigenen Stoffwechsel gelernt, das er nun einsetzen kann, um z. B. den Grünen Star zu verhindern oder die schwarze Pest zu heilen.
Warum also nicht auch genaueres über das Gehirn erfahren? Tatsächlich gelingt es der Hirnforschung immer besser, z. B. Stoffwechsel und elektrische Impulse der Neuronen des Gehirns zu verstehen. Und daraus konnten und können dann neue Verfahren zur Heilung bisher nicht heilbarer Krankheiten resultieren (z. B. Schlaganfälle).

Das Gehirn als Naturding soll den Freien Willen zum Unding machen

Neben der eher medizinisch-praktischen Hirnforschung gibt es aber auch einen Zweig der Hirn-Grundlagenforschung, der erkannt haben will, dass alle unsere Entscheidungen in Wirklichkeit gar nicht unsere eigenen seien, sondern nur auf neurophysionale Prozesse zurückgingen, also anders gesagt: rein chemisch und physikalisch bestimmbare biologische Prozesse in unserem Gehirn sein sollen. Wie bei diesen natürlichen Prozessen haben diese Forscher im gesamten Hirn keine von den Naturgesetzen abweichende Steuerung durch einen wo immer auch herkommenden freien Willen feststellen können. Tatsächlich gehen die entsprechenden Neurophysiologen davon aus, dass alle physischen Regungen des Menschen, zu denen sie auch ihr Denken rechnen, determiniert, also schon im Vorhinein festgelegt und nicht frei sind. Sie würden den Naturgesetzen folgen. Es sei falsch, zu glauben, der Mensch könne die Naturgesetze seinem eigenen Willen entsprechend für sich einsetzen. Die Vorstellung einen eigenen Willen zu haben, sei zwar nützlich, sie entspräche aber in keiner Weise den natürlichen Abläufen. Das Gehirn folge seiner Natur, wenn es den Menschen quasi vorspiele einen freien Willen zu haben. Damit würden diese Hirnforscher aber dennoch nicht sagen wollen, die Gehirne übernähmen nun die ‚Macht’, sondern nur, dass die Naturgesetze in ihnen zu einer besonderen Konstellation geführt hätten, die nun wiederum zu so etwas wie Denken führe. Diese besondere Konstellation werde von der ‚Hardware’-Seite über die Gene weitergegeben. Darum brächten die Menschen die Anlage zum Denken von Natur aus mit. Darüber hinaus würden die aktuellen Verschaltungen im Gehirn (‚Software’-Seite) aber durch unsere Umwelt geformt, also auch durch den Prozess der menschlichen kulturellen Entwicklung, der z. B. durch Erzählungen, Verhaltensweisen und die technische Bestimmtheit der Welt weitergegeben werde. Die Forscher sprechen dabei von der biologischen und der kulturellen Evolution, die beide rein den Naturgesetzen folgen würden.
„Die Forscher haben sich halt gefragt, ob es im Gehirn des Menschen irgendeinen Prozess gibt, der darauf hindeutet, dass etwas nicht nach den Naturgesetzen abläuft. Und die Antwort lautet Nein. Anders gefragt: Läuft das menschliche Gehirn wie alle anderen Gehirne determiniert ab, also rein nach Naturgesetzen? Die Antwort heißt Ja. Bisher haben wir da nicht die kleinste Lücke, etwa für das Wollen, gefunden. Und wenn es eine gäbe, würde sie den Naturgesetzen fundamental widersprechen.“
Die Kompliziertheit dieser Prozesse im Gehirn und dass man dem eigenen Denken nicht direkt zusehen könne, hätten die Menschen bisher zu der falschen Vorstellung gebracht, sie besäßen einen freien Willen. Konsequent verfolgt der Hirnforscher Gerhard Roth den Determinismus des Denkens bis hin zu dem des menschlichen Handelns. Denn das freie menschliche Handeln sollte ja dem freien menschlichen Denken folgen. Wer aber nicht frei ist im Denken, handelt auch nicht frei. Weder im Privaten, noch im gesellschaftlichen Zusammenhang. Dies widerspräche zwar den Wünschen und dem Wollen der Einzelnen, scheineaber die einzig mögliche naturwissenschaftliche Erklärung des Denkens und Handelns. Es mag sich für uns vielleicht so anfühlen, als hätten wir einen freien Willen, aber dieses Gefühl sei naturwissenschaftlich als eine Täuschung entlarvt. Denn der Wille sei, wie alles Mentale (Geistige), an das Gehirn gebunden. Ein Indiz für diese Behauptung ist, dass der ‚freie’ Wille erlischt, wenn das Gehirn zerstört wird. Oder, weniger drastisch, dass wir uns bei starkem Hunger schlechter konzentrieren können. Der Mensch zerfalle also nicht in freies Denken auf der einen Seite und biologisches Gehirn auf der anderen Seite, sondern eine solche gegensätzliche Zweiteilung (Dualismus) sei einfach nur eine falsche Vorstellung, die die Hirnforscher genauer untersucht hätten und als falsch erkannt hätten.

Das menschliche Denken: mal gemessen und mal vermessen

„Es geht um die Frage: Handelt der Mensch nach freiem Willen, oder wird sein Handeln von naturgesetzlichen Abläufen in seinem Gehirn bestimmt? [...] Ein solcher Dualismus Mensch-Natur ist völlig inakzeptabel, denn es gibt nicht den geringsten empirischen Beweis für einen solchen Dualismus.“
„Denn neuronale Impulse können nur durch andere neuronale Impulse unterdrückt werden.“
Und nicht durch metaphysische, unkörperliche und den physikalischen und chemischen Gesetzen nicht unterworfenen Geist oder Seele oder so Zeugs.
Dieser Dualismus, also die Zweigeteiltheit der menschlichen Existenz in Körper und Seele ist, so wie Roth ihn betrachtet, ein altes religiöses Dogma. In ihm sollte sich die Trennung der Welt in Geist und Körper früher einmal auch die Freiheit des Menschen gegenüber der tierisch, körperlichen Welt ausdrücken. Roth fällt ganz richtig daran auf, dass sich durch diese Trennung nicht mehr erklären lässt, wie Geist und Körper aufeinander einwirken. Die Trennung würde dann eigentlich die Unfreiheit des Menschen beweisen, der sich zwar alles denken kann, aber nichts bewirkt, weil die Natur von ihm völlig unbeeinflussbar abläuft. Entsprechend wäre seine Freiheit nicht real.
Roth will diese Zweigeteiltheit wegen ihrer Widersprüche überwinden. Er wendet sich deshalb gleich der Realität der Welt zu und sieht entsprechend nur die Seite des Körpers als real an. Dabei versucht er auch zu verstehen, wie die falsche Vorstellung der Zweigeteiltheit rein naturwissenschaftlich, also rein ‚körperlich’ erklärt werden kann. Dazu setzt er die Mittel der Naturwissenschaften ein, die ihm fälschlicherweise als einzige Quelle für sichere Erkenntnis gelten. Die Gesetzmäßigkeiten unseres Verstandes sollen sich seiner Ansicht nach durch Versuche bestätigen lassen und nicht durch ‚bloße Spekulation’.

Zwar ganz falsch gedacht, aber trotzdem richtig gemacht

„Heute weiß man ziemlich genau, wie Handlungen in unserem Gehirn vorbereitet werden. Und wir haben, weil wir das Gehirn jetzt viel besser beim Arbeiten beobachten können, auch genauere Vorstellungen davon, wie es in uns das Gefühl, etwas zu wollen, produziert.
[...]
Das Unbewusste hat das erste und das letzte Wort. Das erste beim Entstehen der Wünsche, das letzte bei der endgültigen Entscheidung über meine Handlung. Dazwischen können wir beliebig lange hin und her überlegen und haben die Illusion des freien Willens. Doch was man dann letztlich tut, hängt nur sehr bedingt ab von dem, was man lange hin und her überlegt hat.
[...]
Wir haben einen Apparat in unserem Gehirn, das Limbische System, das völlig unbewusst arbeitet. Es entscheidet schon im Mutterleib und das ganze Leben hindurch über das, was wir tun. Dies tut es auch anhand angeborener Präferenzen, aber überwiegend auf Grund von Erfahrung.“
Also nochmal: Hirnforscher wie Roth gehen davon aus, dass es keine Trennung zwischen Denken und Natur geben könne, sondern alle menschlichen Äußerungen und Denkprozesse nichts als natürliche Abläufe seien, die der Evolution des Menschen entsprächen.
Richtig daran ist, dass die Erscheinungen der Natur tatsächlich nur nach Naturgesetzen bestimmt und bestimmbar sind. In sie wirkt erst einmal nichts von außen ein, das gänzlich anders wäre als sie selbst. Die Frage lautet: Wie soll unkörperliches Denken auf körperliche Prozesse einwirken? Mit den naturwissenschaftlichen Messverfahren ist es völlig unmöglich, etwas zu messen, das den erwarteten Ausgang der laufenden Naturprozesse von außen stört oder verändert und somit z. B. als freier Wille in sie eingreift. Abweichungen von den in der Forschung erwarteten Resultaten des natürlichen Ablaufs führen deswegen auch nicht zur Annahme, dass es doch so etwas wie einen Willen gäbe, der sich hierin ausdrücke, sondern die Abweichungen führen entsprechend zu Korrekturen der sich als falsch erwiesenen bisherigen naturwissenschaftlichen Vorstellungen. Und darüber hinaus führen sie zu neuen Erkenntnissen über die bisher einfach nicht genau genug bekannten Naturzusammenhänge. Dass noch nicht alle Naturprozesse vorhergesagt werden können, liegt dann unter anderem an unserem noch mangelnden Wissen.
Andererseits arbeiten diese Hirnforscher aber auch an dem Problem, dass Denken und neurophysiologische Prozesse nicht direkt identisch sind, sondern nur in ein relationales System gebracht werden können.
Die Denkprozesse können trotz z.B. bildgebender Verfahren bei den Hirnuntersuchungen nicht direkt erkannt werden. Die Vorstellung eines Dreiecks lässt sich nicht direkt in den Formen oder Spannungsleitungen der Hirnzellen ablesen. Darum müssen Hirnforscher zuerst einmal fragen, was ein untersuchtes Menschen-Gehirn denn so denkt. Dafür wiederum können sie nicht das Gehirn direkt befragen, sondern nur das Bewusstsein des Menschen, der sich zu diesen Experimenten zur Verfügung stellt. Wenn dieser sagt, dass er sich ein Dreieck vorstellt, ist es möglich die Beobachtungen, die die Hirnforscher zeitgleich in seinem Gehirn machen, dazu in Bezug zu setzen: die Vorstellung des Dreiecks und die Hirnströme werden in ein korrelatives System gebracht. Sie werden aufeinander bezogen, weil sie zwei verschiedene Dinge sind: Vorstellung eines Dreiecks und Hirnstrommessungen beim Vorstellen eines Dreiecks. Das macht man so häufig und bei so vielen Leuten, bis man sich relativ sicher ist, das diese Prozesse zueinander gehören. Also bei jedem, der den Gedanken an ein Dreieck hat, eine bestimmte, wiederholbare Beobachtung im Gehirn zu machen ist.
Manche Hirnforscher schießen dabei schon einmal übers Ziel hinaus und sagen diese Prozesse seien ein und derselbe. Doch auch wenn die so genannte Kritische Neurophysiologie diese ‚vorschnelle’ Gleichsetzung der verschiedenen Prozesse für falsch hält, ist sie im nächsten Moment dabei, aus diesen Regelmäßigkeiten Gesetzmäßigkeiten zu machen und die Korrelation von Verschiedenem (Inhalt des Denkens und neuronale Signalleitungen) in dieser Hinsicht aufzulösen. Zwar lassen sich Korrelationen erfahrungsgemäß feststellen, ob und wie die zwei Sachen tatsächlich zusammenhängen, muss aber darüber erschlossen werden, wie die beiden Sachen unabhängig voneinander bestimmt sind. Daraus kann ich erschließen, wie das eine ggf. auf das andere wirkt. Diese tatsächlichen Zusammenhänge kennen die Hirnforscher aber gar nicht, sondern sie behaupten nur, dass sie sicher wüssten, dass diese Prozesse in letzter Konsequenz identisch seien. Nun hat ja niemand, der ernst zu nehmende Beiträge zu dem Problem des Dualismus Welt ? Denken gebracht hat, behauptet, das Denken wäre unabhängig von der physischen Existenz des Menschen. Aber aus einer Korrelation resultiert überhaupt nicht die Identität dessen, was aufeinander bezogen wird. Ganz im Gegenteil: In einer Korrelation braucht es zwei unterschiedene Prozesse, die aufeinander bezogen werden. Damit ist Roth also noch keinen Schritt weiter als die von ihm zu recht kritisierten dualistischen Denker. Der Prozess eines Gedankens (und mag er noch so richtig oder falsch sein) und der neuronale Prozess sind zwei verschiedene Prozesse, die hier rein statistisch aufeinander bezogen werden.
Dies ist von Roth ja gerade als Argument gegen den freien Willen gemeint, wenn er sagt, inzwischen seien sich „alle neurobiologischen und psychologischen Fachleute darin einig, dass es zwischen dem Gefühl, etwas zu wollen, und dem eigentlichen Auslösen der Tat keine kausale Beziehung gibt.“ Nur dass dies bedeute, es gäbe keinen freien Willen, denn dieser sei den neurologischen Prozessen auch zeitlich nachgeordnet.
„Nur, dass im Gehirn so viele Faktoren miteinander verrechnet werden, dass wir das nicht mehr nachvollziehen können. Was wiederum die Illusion erzeugt, als ginge das nicht kausal zu. Wenn man so ein Netzwerk physikalisch nachbaut, wie wir Forscher es getan haben, verhält es sich schon bei nur fünf oder sechs Faktoren so unberechenbar, dass man ihm fast einen freien Willen zuschreiben würde.“
Da Roth diesen Gedanken durchaus ernst nimmt, kommt er zu dem (allerdings falschen) Schluss, dass die Menschen nicht nur nichts Genaues über den tatsächlichen Bezug vom biologischen Gehirn auf dessen Gedanken herausfinden können, sondern gleich gar nichts Genaues über die Welt erfahren können, da sie immer nur eine vage Vorstellung von dieser hätten. Die Trennung von Naturprozessen und Denken trifft selbstverständlich auch die Naturforscher, deren Verdienst nur darin bestehe, die Trennung aufzuzeigen. Das Gehirn denke sich die Wirklichkeit aber falsch und darum werde es zum falschen Denken aus richtigen Antrieben, denn es wolle sich die Wirklichkeit ja erklären. Nur sei es sich seiner eigenen notwendig falschen Gedanken nicht bewusst, bevor die kulturelle Evolution nicht bei der Bewusstwerdung dieses Problems der ‚bewussten unbewussten Wirklichkeit‘ ganz natürlich angekommen sei. Dieser Widerspruch, den Roth sich selbst eingehandelt hat, interessiert ihn bei der weiteren Erforschung aber nur am Rande. Im Ganzen bleibt seine Untersuchung an die naturwissenschaftliche Vorgehensweise „Theorie ? Experiment ? Schlussfolgerung“ gebunden. Und diese geht eben nicht davon aus, dass die Welt prinzipiell unzugänglich ist, sondern erforscht sie mit ganz handfesten Experimenten. Erst einmal findet Roth dabei weitere Korrelationen heraus und diese deutet er dann einfach zu ‚Gesetzen’ um.

Naturgesetze als Beleg für Willensfreiheit

Die Experimente, die Roth als Beleg für die Naturgesetzlichkeit des Denkens ansieht, setzen aber ganz im Gegenteil den freien Willen immer schon voraus. Sie können ihn gar nicht widerlegen, wenn sie ihre eigene Aussagekraft nicht ebenfalls verlieren wollen.
Die Aussagekraft besteht selbstverständlich nicht darin, Naturgesetze beweisen oder widerlegen zu können, wie es sich manche Empiriker vorstellen, sondern die Experimente zeigen (wie auch der Arbeitsprozess) die tätige Vermittlung von Denken und Welt. Die Gesetze und die Gründe die Naturgesetze zu beweisen oder zu widerlegen sind rein gedacht. Dennoch sind sie, wie die technische Anwendbarkeit zeigt, auch in der Welt real.
Naturgesetze lassen sich nicht präparieren. Einzelne Naturprozesse zu identifizieren und das Experiment als Beleg für das vorweg angenommene Naturgesetz anzusehen, widerspricht sogar der Vorstellung der Hirnforscher, weil sie so den Zweck verfolgen, die Naturgesetze zu beweisen. Zwecke zu verfolgen sollte aber nicht mehr möglich sein, wenn es keinen freien Willen gibt, der das Handeln der Forscher vorweg plant und dann entsprechend umsetzt.
Es hilft den Hirnforschern auch nichts, wenn sie einwenden, der Wille des Forschers sei gar nicht frei, sondern ebenfalls determiniert, denn dann würde sich die Natur (vermittelt durch die menschlichen Gehirne) in unserem Denken nur selbst erkennen. So wird den Menschen abgesprochen ein Subjekt ihrer Taten zu sein und andererseits dieses Subjekt in die Natur verlegt. Doch gerade die Natur sollte ja nur nach Naturgesetzen ablaufen und somit eben nicht selber (frei und bewusst) Handeln.
Entsprechend können die Hirnforscher nun entgegnen,dass die Natur dies auch nicht tue, sondern die Naturprozesse eben einfach gegeben seien und so abliefen, wie sie abliefen. Damit bliebe aber nur 1. die Behauptung, Naturprozesse und ihre Erklärung wären ein und dasselbe, oder aber 2. die Feststellung, das sich das forschende Subjekt nicht wegdenken kann, ohne das Subjekt auf die Natur oder sonstwohin (z.B. Gott) zu verschieben. Dann hätte die Natur den freien Willen, der den Menschen abgesprochen wurde, weil er doch grundsätzlich unmöglich sein sollte. Es ist aber gerade das freie Denken, das die Naturprozesse vorfindet und sich zu erklären versucht.
Dass die Naturprozesse gegeben sind, soll andererseits selbstverständlich nicht heißen, dassdie Natur einem bewussten Schöpfungsakt folgt, der sie in dieser Weise ‚gegeben’ hätte. Die Naturgesetze erkennt das Denken, das sich die Natur (als etwas dem Denken Entgegengesetztes) zu erklären versucht. Und dieses Denken, da haben wiederum die Hirnforscher ganz recht, ist nicht einfach unabhängig von der Physis der Menschen. Die menschliche Freiheit ist nicht absolute Freiheit oder unbegrenzte Macht des Menschen der Natur gegenüber. Diese eigentlich ja magisch zu nennende Vorstellung eines freien Willens ist falsch. Dann wäre es nicht nur möglich Gegenstände gegen die ihnen eigenen Naturgesetze zu bewegen, also z.B. Häuser nur qua Willen fliegen zu lassen, sondern auch gar nicht so schlimm, Hunger zu haben, weil ich mir die gewünschte Mahlzeit nur herbeidenken müsste.

Die Überwindung des einfachen Naturzusammenhangs

Der tätige Mensch unterscheidet sich vom einfachen Naturzusammenhang durch seinen Zwecke setzenden und umsetzenden Willen. Das der Mensch z.B. Kälte durch ein Feuer erträglich machen kann, stellt den Menschen nicht außerhalb dieses Naturzusammenhangs. Aber er kann ihn bewusst nutzen. Durch Einsatz der eigenen Natur auf die Natur zu wirken und diese gezielt einzurichten, ist eine Voraussetzung der menschlichen Kultur. Darüber hinaus lässt die arbeitsteilige Erweiterung der Möglichkeiten des Einzelnen den einfachen Naturzusammenhang für den in der Gesellschaft lebenden Menschen weit hinter sich. Die zunehmende Loslösung vom einfachen Naturzusammenhang könnte dem Menschen zugute kommen. Aber in der bürgerlichen Gesellschaft wird daraus die Einordnung und Unterordnung unter Staat und Kapital. Wobei nicht die Arbeitsteilung oder die Naturbeherrschung das Problem sind, sondern der Zweck, unter den diese gesellschaftliche Arbeitsteilung und Naturbeherrschung gestellt ist.
In der kapitalistischen Produktionsweise ist nicht das Wohl der Menschen der Zweck, sondern die Produktion von Mehrwert um des Mehrwerts Willen. Den Mehrwert wiederum müssen die Lohnabhängigen für das Kapital erarbeiten, weil sie sich nur auf diese Weise auch selbst erhalten können. Die daraus resultierenden Zwänge scheinen den Einzelnen dann wieder genauso unabänderlich wie die Naturgesetze. Die Arbeiter produzieren und reproduzieren aber eigentlich ihre eigene Abhängigkeit vom kapitalistischen Produktionsprozess. Der ist zwar naturwissenschaftlich, technisch vernünftig bestimmt, aber sein Zweck ist nicht vernünftig. Außerdem trennt diese unvernünftige Produktionsweise die Menschen von ihren Reproduktionsmitteln und sorgt für die Abhängigkeit der Menschen vom kapitalistischen Reproduktionsprozess. Obwohl die Produktivkraft der Arbeit und die Einsichten in die Gesetzmäßigkeiten der Natur als Teil der kapitalistischen Produktionsweise permanent fortschreiten (müssen), scheint der Produktionsprozess mit seinen Härten und Abhängigkeiten vom Kapital ganz und gar Sachzwang zu sein, also wiederum einfacher Naturzusammenhang zu sein.
Auch der Wissenschaftsbetrieb ist dem Kapital und seinen Interessen untergeordnet und trägt die falschen Vorstellungen von dessen ‚Naturwüchsigkeit‘ in sich. Damit sind aber nicht alle Erkenntnisse desselben falsch. Sich z.B. mit Hirnforschung zu beschäftigen ist sinnvoll, aber auch unsinnig, wenn sie als Teil der Ideologieproduktion in der bürgerlichen Gesellschaft betrieben wird.
Ein Teil der Hirnforscher beteiligt sich dennoch an der Ideologieproduktion und meint dabei (besonders innovativ) interdisziplinär zu arbeiten, denn ihm erscheinen die anderen Disziplinen bürgerlichen Denkens und Miteinanders nun in einem neuen Licht (z.B. Soziologie, Psychologie, etc.). Damit sind diese Hirnforscher endgültig auch bei den aktuellen gesellschaftlichen Fragen angekommen. Forschungsgelder fließen nicht nur, weil sie gute Grundlagenforschung betreiben, sondern auch, weil die Ergebnisse dem Herrschaftspersonal sinnvoll erscheinen. Deren Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen von Subjekten beim kapitalistischen Wirtschaften und im bürgerlichen Staat mit seinem Gewaltmonopol.

Inwieweit sind die ‚Erkenntnisse’ der Hirnforschung ideologisch?

  • Gesellschaftliche Sachverhalte werden fälschlicherweise als biologische bzw. sozio-biologische Gegenstände gefasst und scheinen so naturgegeben und nicht kritisierbar oder willentlich veränderbar. - Hierbei gelten die Naturwissenschaften fälschlicherweise als weniger anfällig für ideologische Interpretationen.
  • Die Erklärung von gesellschaftlichen Sachverhalten als naturgegeben verschleiert das Kapitalverhältnis, welches aber auf Gesetzen beruht, die teilweise als Naturgesetze erscheinen. So werden die jetzigen gesellschaftlichen Verhältnisse zur ‚zweiten Natur’, die sich für den Einzelnen genauso wie die einfachen Naturprozesse darstellt [Flut?Flüchtlingsflut; Erdbeben? Beben der Finanzmärkte, etc.].Doch geht das noch weiter: Über den Einzelnen hinaus bestimmen sogenannte Sachzwänge nicht nur als rhetorischer Politikertrick die Gesellschaft.
  • Angesichts ökonomischer und gesellschaftlicher (Sach-) Zwänge, denen die Menschen ausgesetzt sind, wird manchen ihre Willensfreiheit zum bloßen Schein. ‚Wir‘ müssen uns ständig anpassen, damit es ‚der Wirtschaft’ gut geht und nicht umgekehrt. Dieser Zwang wird zum eigenen Anliegen, weil das eigene Überleben (Lohn, Rente, etc.) von der kapitalistischen Produktion abhängt.Darum ist für viele Menschen der naturgesetzliche Determinismus plausibel. Diese Vorstellung liefert ein vermeintliches Erkennen sowohl der Zwänge, als auch die Erklärung der persönlichen Erfahrung und befreit darüber hinaus vom (freien) Willen, die Prozesse oder Verhältnisse zu ändern. Ein solcher Versuch wird hingegen als veraltet und dumm angesehen. So wird die Ohnmacht des Einzelnen im gesellschaftlichen Gefüge zum Argument gegen deren Überwindung verdreht.
  • Weil alles natürlich determiniert sei, könne es keine Revolution geben. Umgekehrt aber werden den populären Hirnforschern und ihren Anhängern politische Positionen und Handlungen zu Teilen der Evolution, die allein das Handeln der Menschen bestimme und damit auch rechtfertigt.
  • Während so die bewusste und politische Befreiung der Menschen für unmöglich erklärt wird, dient die populäre Hirnforschung im politischen Alltagsgeschäft der bürgerlichen Gesellschaft dann dazu, die Positionen und Interessen von Politikern und Wirtschaftsvertretern (gerne auch konservative bis reaktionäre) als natürlich legitimiert darzustellen. Dass aber auch jede Abweichung vom herrschenden Denken als natürlicher Prozess gesehen werden kann, ist eine weitere Frage, die die Hirnforscher bewegt.

Vom ‚naturgegebenen’ und darum für Hirnforscher einzig richtigen Gewaltapparat

Bei der Betrachtung von Recht und Ordnung kommen Hirnforscher deshalb schon einmal zu nicht ganz so neuen Vorstellungen betreffs der Rechtsordnung:
„Ich behaupte: Straftäter können im moralischen Sinne nichts für das, was sie tun, sondern sie tun das, was das Resultat des komplizierten und höchst individuell verlaufenden Abwägungsprozesses in ihrem Gehirn ist - so abartig dieser Prozess auch ablaufen mag! Das heißt aber nicht, dass sie nicht bestraft werden dürfen. Sie dürfen nur nicht bestraft werden auf Grund der Annahme, dass sie auch anders hätten handeln können, sondern weil die Gesellschaft ihr Verhalten nicht duldet - und damit sie sich eventuell bessern.“
„Tatsächlich hat man bei Soziopathen oder Impulsgewalttätern hirnorganische Faktoren feststellen können, die ihr abweichendes Verhalten bedingen. Das heißt: Die mit am härtesten bestraft werden, können wohl am wenigsten dafür.
Sie sind unschuldig im moralischen Sinne, nicht im Sinne der Normabweichung und sozialen Schädlichkeit. Und da kommen wir zum Kern der ganzen aktuellen Diskussion: Strafen müssen einen anderen Sinn bekommen. Im angelsächsischen Recht zum Beispiel wird der Sinn des Strafrechts mehr in der Besserung oder der Prävention gesehen als in der moralischen Abstrafung. Die Angelsachsen sind Erziehungsoptimisten.“
Das läuft auf folgendes heraus: Wenn das Strafen und die Drohung mit Strafe Besserung oder Prävention bedeutet, dann nur, weil die jeweiligen Straftaten biologisch begründet sein sollen und entsprechend geduldet bzw. behandelt werden sollen. Und das geht noch weiter, denn dann ist nicht an den Willen des Täters zu appellieren, sondern nur das natürliche Strafmaß zu ermitteln, vermittels dessen sich die Gesellschaft selbst erhält. Strafe und Strafmaß sind für Roth also natürliche Maßnahmen und so ebenfalls nicht mehr kritisierbar. Dabei wird die bürgerliche Gesellschaft als natürlicher Zusammenhang angenommen. Die Zwänge in ihr werden nicht analysiert, sondern biologisiert. Der Kriminelle ist biologisch ein Krimineller geworden, und nicht etwa, weil er seinen Mangel an Geld als Bankräuber beheben will. Aber hier kommt Roth dann doch ins Straucheln, ganz so ernst will er dass beim Straftäter mit dem Determinismus als wissenschaftlich aufschlüsselbaren nämlich nicht nehmen:
„Es gibt einen genetischen Sockel bei Straftätern, der liegt bei rund 20 Prozent. Aber der größte Teil liegt wohl in frühkindlichen Erfahrungen. Und hier wird es kompliziert. Wenn man bei schweren Straftaten in die Vergangenheit des Angeklagten guckt, findet man immer etwas. Aber man kann nicht umgekehrt von einem auffälligen Verhalten auf einen späteren Mord schließen. Ob jemand Mörder wird, hängt ja auch vom weiteren Lebensverlauf und auch von der Situation ab. Also kann man ihn nicht präventiv einsperren. Nur rückwirkend ist ein Determinismus erkennbar, aber nicht vorab.“
Damit wird aus dem sogenannten wissenschaftlich bewiesenen Determinismus die einfache Aussage, dass es so gekommen ist, wie es kommen musste. Von wissenschaftlicher Erkenntnis bleibt hier nur die richtige Feststellung, dass Handlungen Gründe haben. Von den tatsächlichen Gründen wird aber abstrahiert. Tatsächliche gesellschaftliche wie persönliche Gründe bleiben außen vor. Gleichzeitig wird Roth die pädagogische und andere staatliche Gewalt zur Notwendigkeit, da sich mit ihr die Gesellschaft erhält. Die Gesellschaft selbst aber bleibt unbegriffen. Sie ist für Roth allemal richtig wie sie ist, denn sonst wäre sie anders, wofür der natürliche Prozess der kulturellen Evolution sorgen soll. In dieser Evolution stelle sich immer das ‚Beste’ her, also eigentlich das ‚natürlich Notwendige.’
Am Rande sei hier noch bemerkt, dass dieser 20%-ige „genetische Sockel“ „wohl“ der „frühkindlichen Erfahrungen“ völlig haltlose Behauptungen Roths sind, die den Menschen aber wiederum rein naturwissenschaftlich statistisch erfassen wollen, indem sie seine Handlungen oder Grunddispositionen in genetische und erfahrungsbezogene Teile zerlegen.
„Selbstverständlich braucht man nicht an einen freien Willen zu glauben, um von der Erziehbarkeit des Menschen auszugehen. (...) Bisher haben wir es uns bequem gemacht und uns mit dieser Frage nicht wirklich beschäftigt, weil es ja um moralische Schuld und nicht um Besserung ging. Der bisherige Strafvollzug hat die Frage einer wirksamen Therapie nicht ernst genommen, wie auch Experten sagen.“
Die Therapie setzt für diese Hirnforscher aber nicht erst im Nachhinein ein, sondern die Menschen können und müssen auch im Vorhinein gesellschaftskonform gemacht werden. Eben über Pädagogik, Psychologie und den ganzen herkömmlichen Gewaltapparat, der die ‚Einsicht’ des Einzelnen in die natürliche Notwendigkeit eines konformen Verhaltens zu bestärken hilft.
„Man muss tatsächlich tolerant sein in dem Sinne, dass jeder Straftäter die Chance der Umerziehung erhält. Der einzelne Mensch ist nicht im moralischen Sinne verantwortlich für sein Tun, aber die Gesellschaft ist sozial verantwortlich für das, was ihre Mitglieder tun.“
Hier trifft Roth wieder durchaus Richtiges: Tatsächlich ist die moralische Schuld, die den Tätern in der bürgerlichen Gesellschaft zumindest in der Öffentlichkeit noch immer angelastet wird, ziemlicher Mumpitz. Nur ist das mit der bürgerlichen Moral ja eh die falsche Erklärung. Die dient nicht dazu, die tatsächlichen Verhältnisse zu erklären, sondern sie verklärt den ganzen bürgerlichen Gewaltapparat, indem sie von Gerechtigkeit redet, wo der Staat bedingungslose Akzeptanz gegenüber seinen Grundsätzen meint.

Revolution oder Evolution

Die eigene Unfreiheit nicht nur zu spüren, sondern an sie zu glauben als etwas, das naturgegeben ist, bedeutet, jeden gesellschaftlichen Zustand der Unfreiheit zu akzeptieren. Wenn es keinen freien Willen gäbe, wären gesellschaftliche Veränderungen blindes Resultat der Evolution. Eine revolutionäre Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse als Resultat einer Kritik der herrschenden Zustände wäre undenkbar. Die These vom unfreien Willen setzt den Einzelnen gegenüber der gesellschaftlichen Entwicklung in die Passivität und enthebt ihn so nicht nur der Verantwortung für sein Handeln, sondern auch der Möglichkeit, sich für bessere Lebensbedingungen aller Menschen einzusetzen. Die Annahme, der Mensch sei unfrei, ist reaktionär indem sie die herrschenden Bedingungen als die natürlichen, einzig möglichen und zudem richtigen verfestigt. Diese Vorstellungen sehen die gesellschaftliche Realität des Kapitalismus als natürlich an. Die Durchschlagskraft solcher Vorstellungen liegt auch in ihrer scheinbaren Bestätigung durch die realen Erfahrungen der lohnabhängigen Staatsbürger. Darum sind populäre Hirnforscher wie Gerhard Roth und Wolf Singer, die die Feuilletons von FAZ und ZEIT füllen, kein bloßes Kuriosum, sondern politische Gegner, die man ernst nehmen sollte.
Ein Papier der Assoziation gegen Kapital und Nation Hannover.
Zur vertiefenden Lektüre empfehlen wir das Buch
Natürlich müssen die Spieler die Naturgesetze nicht kennen.
Hier und im Folgenden aus: „Sagen Sie mal: Sind wir wirklich Sklaven unseres Gehirns?“ Ein Gespräch zwischen Gerhard Roth (Hirnforscher aus Bremen) und Andreas Seche (Reporter). In: P.M. 4/2004, S. 92ff.
Roth zitieren wir nicht deshalb, weil er besonders dumm ist und sich so leicht widerlegen lässt, sondern weil er besonders konsequent ist in seinem Denken und seinen Darstellungen. P.M. zitieren wir nicht deshalb, weil das der einzige Text wäre, der allgemein verständlich ist, sondern weil er besonders knapp ist und dem Inhalt der entsprechenden wissenschaftlichen Texte entspricht.
Mit dem Dualismus von Leib und Seele wurde aber zugleich der Wille der Untertanen in die Pflicht genommen. Die Menschen sollten sich einem rein geistigen, höheren Wesen unterordnen, dessen Wollen auf wunderbare Weise mit dem seiner jeweiligen Vertreter auf Erden übereinstimmte. Hinzukommt die herrschaftliche Unterdrückung aller Sinnesfreuden zumindest der untergeordneten Anhänger.
Roth will den freien Willen wie folgt bestimmt sehen:
„Freier Wille ist das Gefühl oder die Einbildung: Autor meiner Handlungen, Gedanken und Wünsche ist mein bewusstes Ich - und nicht das Unbewusste. Freier Wille bedeutet also, dass wir bei unseren Handlungen nicht vollständig determiniert, also festgelegt, sind. Dass wir, was die Zukunft angeht, einen Handlungsspielraum haben und dass wir in der Vergangenheit auch anders hätten handeln können, wenn wir gewollt hätten“
Die geforderte Erweiterung dieses Wissens durch die Hirnforscher korreliert mit dem Wunsch der Hirnforscher nach mehr Forschungsgeldern für ihre Einrichtungen.
Das ist eine normale Vorgehensweise der Menschen, bei ihren Versuchen sich die Zusammenhänge der Welt zu erklären. So kann ich auch im Alltag feststellen, immer wenn es regnet ist die Straße nass. Dieser Zusammenhang von Regen und nasser Straße ist eine Korrelation, die wir schon als Kinder feststellen. Das heißt jedoch nicht im Umkehrschluss, dass es immer regnet, wenn die Straße nass ist. Und daraus folgt noch lange kein Gesetz oder die Erkenntnis des eigentlichen Zusammenhangs, auch wenn es sich immer wieder beobachten lässt. Dieser statistische Zusammenhang ist eben niemals mehr als eine Korrelation.
Auch wenn dieses Denken und die Prozesse im Hirn zusammenhängen, ja zusammengehören, so sind sie doch nie inhaltlich identisch.
Dann bräuchte es keine Forschung oder sie wäre nur eine falsche Vorstellung der eigentlichen Evolution. Wobei dann ja auch alle falschen Vorstellungen immer richtig wären, da sie natürlich sind und nicht anders seien können. Somit ginge die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen falscher und richtiger Erkenntnis verloren.
Es gibt aber keinen empirischen Beweis der Freiheit und es kann ihn auch nicht geben, denn Freiheit ist ein Reflexionsbegriff. Freiheit ist ein ideeller Begriff und nicht eine materielle Bestimmung des Menschen. Freiheit ist darum ein Gegenstand, der der Naturwissenschaft prinzipiell unzugänglich ist und doch ist sie ihr notwendig vorausgesetzt.
Herrschaft setzt Freiheit immer schon voraus. Der Wille des Beherrschten soll sich dem des Herrschenden unterordnen. Das deterministische Denken kennt aber entsprechend keine Herrschaftskritik mehr an, weil es keinen Unterschied im Willen gelten lässt. Herrscher wie Beherrschter sind nur Teil eines einzigen gleichgültigen Naturprozesses. So wird noch die übelste Unterwerfung von Menschen als natürlich notwendig und somit unkritisierbar verklärt. Sich bewusst gegen Herrschaft zu stellen, verkommt für den Deterministen zur bloßen Illusion naiver politischer Auseinandersetzungen.
Die Menschheit hat sich soweit vorgearbeitet, dass vieles was früher als natürliche Gegebenheit galt, heute als gestaltbar erkannt ist. Das Wissen über die Natur und die technische Anwendung dieses Wissens ist ungeheuer. Dadurch kann mensch mehr Zwecke realisieren und sich ggf. Arbeit sparen. Im Kapitalismus dagegen gelten plötzlich wiederum viele Sachen als „natürlich", in dem Sinne, dass sie unhintergehbar sind, wie etwa Armut, Konkurrenz, Konjunktur Mehrarbeit und der Mensch als prinzipiell faules Schwein, dass man immer hintenrum anpeitschen müsse. Dies aber ist ein Resultat einer Gesellschaft, in der erstmal jeder durch die staatliche Eigentumsgarantie und die Garantie der Freiheitsrechte auf sich gestellt wird und von der Entscheidung über den ökonomischen Zusammenhang getrennt wird, von dem er abhängt. Dann fragt sich jeder, was kann ich für mich dabei herausholen und in diesem selbstbewussten und selbstbestimmten Akt begegnen dann tatsächlich jedem Notwendigkeiten, denen er genügen muss, auf die er aber gar keinen Einfluss hat. Relativ dazu scheint die „Naturwüchsigkeit" einiger Phänomene plausibel. Für die Lohnabhängigen führt das kapitalistische Prinzip dazu, dass sie von der Gestaltbarkeit von Zwecken relativ wenig sehen und die für ihren Lebensunterhalt notwendige Arbeit gar nicht deutlich weniger wird, weil diese nur dann stattfindet, wenn sie Profit abwirft. Dabei bleibt man immer vom Erfolg des Unternehmens abhängig. Nur partiell ist man als Lohnabhängiger Nutznießer dieses Prozesses, indem man Waren nutzen kann, die zum gesellschaftlich durchschnittlichen Warenkorb gehören. Auch der Kapitalist hängt von bestimmten gesellschaftlichen Prozessen ab, die auch er nicht bewusst mitbestimmen kann (z. B. Krise) , die er in seinem Tun aber mitbewirkt.
Der Zwang zur Mehrwertproduktion trifft dann noch die scheinbar ganz freien Kapitaleigner.
‚Naturwüchsig’ heißt ein gesellschaftlich bestimmter Zusammenhang, der wie ein Naturzusammenhang wirkt. So als ob er Naturgesetzen folge und nicht von Menschen gemacht wäre. Er scheint von ihren Handlungen unabhängig zu sein. Die Gesetze der gesellschaftlichen Reproduktion werden zur ‚zweiten Natur’, wenn sie wie im Kapitalverhältnis den Menschen zum bloßen Mittel machen. Das Kapitalverhältnis selbst verschleiert sich als ewigen Naturgesetzen entsprechend, es ist ‚naturwüchsig’.
„Es kann nicht anders sein in einer Produktionsweise, worin der Arbeiter für die Verwertungsbedürfnisse vorhandener Werte, statt umgekehrt der gegenständliche Reichtum für die Entwicklungsbedürfnisse des Arbeiters da ist. Wie der Mensch in der Religion vom Machwerk seines eigenen Kopfes, so wird er in der kapitalistischen Produktionsweise vom Machwerk seiner eigenen Hand beherrscht.“
Marx: Das Kapital, 1. Band, MEW 23, S. 649.
Zur ‚Naturwüchsigkeit’ der kapitalistischen Produktionsweise vgl. auch
Marx: Das Kapital, 3.Band, 48. Kapitel.
Was wir nicht so verstanden wissen wollen, dass alle eigentlich erkannt haben, dass die Produktionsweise verändert werden müsste und nur gerade mal keine Lust dazu haben. Aber sie wissen schon, dass Veränderungen auch eigenen Einsatz nötig machen würden.
Es geht Roth um die Einhaltung der Regeln der bürgerlichen Gesellschaft, damit sich diese wie andere ‚Wesen’ im biologischen Überlebenskampf erhalten kann.
Eigentlich ist seine Kritik gar keine an der Moral und seine Kritik „das wirkt doch gar nicht“ ist falsch, weil es beim Strafen gar nicht um Besserung oder so Zeug geht.