17.02.2024 PDF

Klimapolitik – noch schlechter als ihr Ruf

Klimapolitik – noch schlechter als ihr Ruf

Disclaimer: Dies ist ein Text der Frankfurter Gruppe 'Antinationale Linke in Frankfurt (ALiF)' in Zusammenarbeit mit Anderen bei GKN. Er ist eine Überarbeitung dieses Textes von GKN von 2020 zur Klimapolitik.

 

Viele Menschen auf der ganzen Welt machen sich Sorgen über die Erderwärmung. Zu Recht: Die Wissenschaft gibt immer dramatischere Prognosen über die immensen Schäden der Klimakatastrophe ab. Die Auswirkungen sind aber längst bemerkbar. Die Politik hat erkannt, dass die Erderwärmung auch für ihre Zwecke ein Problem ist. Seit 1995 gibt es jedes Jahr eine UN-Klimakonferenz. Die Staaten haben sich auf den Konferenzen in Kyoto 1997 und Paris 2015 auf konkrete Ziele zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen1 geeinigt. Trotzdem tut sich erstaunlich wenig in Sachen Minderung des Ausstoßes. Bei den meisten Staaten steigt dieser sogar. Das wirft die Frage auf, warum praktisch so wenig passiert, was ernsthaft der Klimakatastrophe entgegenwirkt. Können die Staaten nicht mehr machen oder wollen sie nicht? 30 Jahre Klimapolitik – deren Ergebnisse und Gründe – geben Aufschluss darüber, dass Staaten keine guten Ansprechpartner sind, wenn es darum geht, die Klimakatastrophe aufzuhalten oder wenigstens abzumildern.

Vorneweg: Der Text braucht recht lange, bis er bei der Klimapolitik selbst angelangt. Die vorherigen Ausführungen zur kapitalistischen Produktionsweise und zur Energie- und Umweltpolitik scheinen uns aber nötig, um die Kalkulationen bei der Klimapolitik verstehen zu können.

Mensch und Natur – wofür sind sie gut?

Mittlerweile hat es sich bei vielen rumgesprochen: Wenn die Erderwärmung gebremst werden soll, müsste sich ziemlich viel ändern. Ansatzpunkte der Klimapolitik waren und sind – trotz aller moralischen Appelle in Sachen Urlaubsflüge und Avocados – die kapitalistischen Unternehmen. Von denen hängt das gesamte Funktionieren (Lohn, Steuern, Staatsschulden, Qualität der Währung) einer bürgerlichen Volkswirtschaft ab. Daran will keine verantwortungsbewusste Regierung von links bis rechts etwas ändern.

Dass „die Wirtschaft“ florieren muss, da sind sich alle einig. Und das geht so: Unternehmen wollen mit dem, was sie herstellen, mehr einnehmen, als sie dafür ausgegeben haben, nur dann herrscht Wirtschaftswachstum. Dafür werden Einkauf, Produktion und Verkauf darauf getrimmt, dass ein Gewinn herauskommt, der am besten kontinuierlich steigt. Lohnarbeiter*innen bekommen das zu spüren, wenn sie für weniger, gleichen und manchmal auch mehr Lohn immer mehr zu leisten haben. Genauso gehen Unternehmen auch mit der Natur um: Herausholen, was geht, so günstig wie möglich. Energie- und Rohstoffgewinnung sowie Abfallentsorgung sind nur Kostenpunkte.2 Vergiftung der Böden, Flüsse und auch der Atmosphäre kostet die Unternehmen erstmal nichts, genauso wenig die Freisetzung von CO2.3 Umwelt- und Klimaschutz liegen also, sofern sie sich nicht ökonomisch lohnen, nicht im Interesse der Unternehmen.

Damit die Geldvermehrung immer umfangreicher vollzogen werden kann, muss die Produktion immer weiter wachsen mit allen oben beschriebenen Folgen. Das alles liegt nicht daran, dass Unternehmer*innen und Manager*innen zu doof oder zu gierig sind. Sondern daran, wie die Wirtschaft in kapitalistischen Staaten organisiert ist und was ihr Zweck ist: Private Gewinnvermehrung mittels Produktion für den zahlungsfähigen Bedarf. Der Schaden an Mensch und Natur ist also systematisch im Produktionszweck der kapitalistischen Wirtschaftsweise angelegt – im Profit.

Die Wirtschaft – wofür ist die gut?

Die Politik ist nicht blind, konfliktscheu oder korrupt, wenn sie das oben erwähnte Wirtschaftswachstum mit den dort geschilderten Konsequenzen für Mensch und Natur fördert. Die Staaten der Welt wollen nicht nur ihre kapitalistische Gesellschaft am Laufen halten und darum und dafür Wirtschaftswachstum erzielen, sondern setzen auch auf die kapitalistische Produktion als ihre Machtquelle. Deshalb stellen sie von A wie Arbeitsagentur bis Z wie Zulassungsstelle alles in den Dienst der Aufrechterhaltung des Kapitalismus und der Vermehrung des Geldes. Diese Leistungen für seine Gesellschaft finanziert der Staat dabei entweder aus Steuern, die er aus der Gesellschaft entnimmt, oder durch Staatsverschuldung. Für beides braucht er eine gut funktionierende Wirtschaft: also erfolgreiche Unternehmen.

Da Staaten den größtmöglichen Erfolg für ihre Wirtschaft wollen, versuchen sie die Unternehmen dabei zu unterstützen, nicht nur im eigenen Land zu produzieren, zu verkaufen und Profite zu machen, sondern weltweit. Die Staaten versuchen also jeweils möglichst gute Bedingungen zum Profitemachen für ihre Unternehmen im Ausland durchzusetzen. Das gleiche Interesse haben aber andere Staaten für ihre Wirtschaft auch und so kommt es um eine Konkurrenz u.a. um die beschränkten Absatzmärkte in dieser Welt.4 Um dabei möglichst gut abzuschneiden, versucht jeder Staat, sich die anderen unterzuordnen: In Handelsverträgen versuchen sie der eigenen Wirtschaft möglichst viele Vorteile zu verschaffen. Der Staat macht sich also zum Mittel seiner kapitalistischen Wirtschaft, weil er dadurch stark (die Grünen würden sagen „handlungsfähig“) wird. In diesem Konkurrenzkampf um Über- und Unterordnung, der für den Erfolg der eigenen Unternehmen geführt wird, ist der Erfolg der eigenen Wirtschaft das entscheidende Machtmittel. Nicht umsonst haben in der Regel Wirtschaftsmächte auch am meisten zu sagen in der Welt.5

Das Wirtschaftswachstum, das die Staaten aus den oben genannten Gründen wollen, erfordert fortwährend und in tendenziell steigendem Umfang Energie. Dieser Energiehunger heizt die Klimakatastrophe an und gefährdet somit die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft, die der Staat ja gerade verwaltet.

Energie – (aktueller) Klimakiller und Notwendigkeit für den Kapitalismus

Insbesondere aufgrund ihrer Billigkeit sind die Energiequellen im heutigen Kapitalismus in den meisten Ländern überwiegend fossile Energieträger: Kohle, Erdöl, Erdgas.6 Die Verwendung von Energie führt so zu einer massiven Freisetzung von CO2, gleichzeitig ist CO2 der zentrale Antreiber der Klimakatastrophe.7 Die Verbrennung fossiler Energieträger leistet den größten Beitrag zur Klimakatastrophe. Zur Veranschaulichung der Relevanz von Energie für die Klimakatastrophe sei das Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zitiert: „Emissionen aus der Nutzung fossiler Energieträger machen etwa 85 % der Gesamtemissionen aus.“8 Es kann also zwar nicht die gesamte Klimakatastrophe über die Nutzung von fossilen Energieträgern erklärt werden – mensch denke z.B. an die Abholzung von Wäldern oder die Trockenlegung von Mooren. Dennoch lässt sich feststellen, dass die Verbrennung fossiler Energien der „Klimakiller“ Nummer eins ist.

Dies ist der Grund, warum es für die Erklärung der Klimapolitik notwendig ist, sich sowohl mit Energie als auch mit Energiepolitik zu befassen.

Der Großteil des Energieverbrauchs fällt bei der Produktion und dem Transport von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen an. (Warum der private Energieverbrauch demgegenüber weniger wichtig ist, kommt noch.) Da Energie notwendiger Bestandteil jeder Produktion und jedes Transports ist, gehen ihre Kosten auch in alle Produktions- und Transportkosten ein. Ein steigender Energiepreis bedeutet für Unternehmen also, dass die Herstellungskosten aller Produkte steigen. Entweder verkaufen die Unternehmen dann zu den bisherigen Preisen und haben somit eine niedrigere Gewinnspanne als vorher oder sie kompensieren die gestiegenen Kosten durch Preiserhöhungen, wenn sie diese durchsetzen können. Dabei riskieren sie aber den Verlust von Marktanteilen an die Konkurrenz.9

Weil Energie so ein entscheidender Kostenfaktor ist, gibt es auf Seiten der Unternehmen auch immer das Bestreben, den Energieverbrauch zu senken. Dieses Interesse ist aber nicht absolut: Nur wenn durch Energieeinsparung die Stückkosten pro Ware gesenkt werden können, ist Energieeffizienz interessant. Die Maßnahmen zur Energieeinsparung dürfen pro Ware also nicht teurer sein als die dadurch eingesparte Energie. Als Beispiel: Kostet die Ausrüstung der Fabrik mit energieeffizienteren Maschinen mehr als der dadurch eingesparte Strom? Umgekehrt folgt daraus, dass dort, wo sich der Energieverbrauch wirtschaftlich lohnt, Energie auch entsprechend umfangreich eingesetzt wird. Das bedeutet auch, dass die durch Energiesparmaßnahmen verbilligten Waren möglicherweise in wachsender Zahl verkauft werden, so dass der Energieverbrauch trotz der Energiesparmaßnahmen insgesamt steigen kann. Wenn die Verfügbarkeit von Energie eingeschränkt wird oder sich ihr Preis erhöht, hat das nachteilige Folgen für das Wirtschaftsleben.

Da dem Staat das Wirtschaftsleben wichtig ist, betreibt er Energiepolitik.

Wieso betreibt der Staat Energiepolitik?

Wenn Staaten versuchen, die eigene Wirtschaft möglichst konkurrenzfähig herzurichten, dann stoßen sie notwendig auf die Energie als wesentliche Voraussetzung. Sie ist nicht nur unverzichtbar für Gesellschaft und Staat, sondern auch Grundlage von Produktion und Transport, also muss sie verlässlich zur Verfügung stehen, damit Produktion und Transport – und das bedeutet: die damit bezweckte Geldvermehrung – genauso verlässlich funktionieren.

Zusätzliche Gelegenheiten zur Geldvermehrung sollen nicht bloß deswegen ungenutzt bleiben, weil es an zusätzlicher Energie zur Ausdehnung der Produktion mangelt. Energie muss also nicht bloß in dem bisher gewohnten Umfang verlässlich verfügbar sein, sondern in jeder Menge, die für eine Produktionsausweitung benötigt wird. Deswegen streben Staaten an, dass Energie in jedem benötigten Umfang und in jeder benötigten Form (Elektrizität, Treibstoff...) zuverlässig und überall verfügbar ist.

Weil Energie wegen ihres universellen Einsatzes ein ebenso universeller Kostenfaktor der kapitalistischen Produktion ist, muss sie überdies möglichst billig sein. Denn bei höheren Energiepreisen in einem Land als in einem anderen, haben alle Unternehmen, insoweit sie energieabhängig sind, einen internationalen Konkurrenznachteil. Zudem wäre bei zu hohen Energiepreisen manches Geschäft auch vollkommen unmöglich, so dass es insgesamt weniger Wirtschaftswachstum gäbe.

Da der Staat den (internationalen) Erfolg seiner Unternehmen will und braucht, hat er ein Interesse daran, dass der Ökonomie die benötigte Energie zuverlässig und günstig zur Verfügung steht. Da Energieträger meist nicht beides leisten, besteht Energiepolitik darin, eine Abwägung zwischen dem unternehmerischen (und somit auch dem staatlichen) Bedürfnis nach Zuverlässigkeit und dem nach Billigkeit der Energie zu treffen. Für viele Staaten waren und sind das Resultat dieser Abwägung überwiegend fossile Energieträger, die den Klimawandel anheiz(t)en.

Weil Energie also so bedeutsam für die kapitalistische Produktion ist, ist die Erzeugung und Verteilung von Energie in praktisch allen Staaten deutlich stärker reguliert als z.B. die Schokoladenherstellung. Dies kann durch gesetzliche Auflagen geschehen oder dadurch, dass der Staat einzelne Teile dieses Prozesses gleich durch staatliche Unternehmen organisiert.10

Alle bisher erschlossenen Primärenergieträger sind auf der Welt nach geologischen Zufälligkeiten verteilt. Die bisher vorwiegend genutzten fossilen Energieträger wie auch die Wasserkraft finden sich häufig nicht (jedenfalls nicht in hinreichender Menge oder in kostengünstig erschließbarer Form) in den Staaten, die wegen ihres wirtschaftlichen Erfolgs den höchsten Energiebedarf haben. Deswegen müssen diese Staaten Energie oder Energieträger importieren.

Dies bringt die Verbraucherstaaten wegen der großen Bedeutung von Energie in eine besondere Abhängigkeit von den Erzeugerstaaten, die für die Verbraucherstaaten ein ärgerlicher Abtrag von der erwünschten Zuverlässigkeit der Energieversorgung ist. Eine Konsequenz ist der Bezug von verschiedenen Energieträgern11 und/oder aus möglichst verschiedenen Regionen und Staaten. So soll die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten abgefedert und die eigene Verhandlungsposition bei der Preisgestaltung verbessert werden. Eine weitere Option ist die Förderung der Nutzung einheimischer Energieträger, die zwar teurer sein können, aber dafür nicht unter Kontrolle anderer Staaten stehen. Dies war z.B. ein Grund für die langjährige Subventionierung der deutschen Steinkohleförderung oder das heutige Interesse vieler Staaten an erneuerbaren Energieträgern.

Wo es eine große Importabhängigkeit gibt, wächst das Bedürfnis nach politischer Kontrolle der Lieferstaaten. Wenn die Energieträger schon auf fremdem Gebiet liegen, dann müssen die dortigen Staaten darauf festgelegt werden, diese so bereitzustellen, wie es im Interesse der Verbraucherstaaten liegt. Diese Ausrichtung eines Staates auf die Interessen anderer Staaten durch Sanktionen, durch Unterstützung der Opposition bis hin zum „Regime Change“ oder auch durch offenen Krieg ist ein ausgesprochen gewaltträchtiges Programm.

Die Energieversorgung, die der Staat für seine Wirtschaft will und braucht, hat aber eine Kehrseite: Weil die Energiegewinnung bisher weitgehend auf fossilen Energieträgern basiert, untergräbt sie durch die Auswirkungen des Treibhausgas-Ausstoßes auf das Klima das Funktionieren der kapitalistischen Ökonomie und der Gesellschaft insgesamt.

Die kapitalistische Ökonomie schädigt also ihre eigenen Grundlagen. Auf diese Schädigung durch die Klimakatastrophe reagiert der Staat mit der Klimapolitik. Bevor wir uns aber mit dieser Klimapolitik befassen, wollen wir erklären wie der Staat normalerweise – also bei der klassischen Umweltpolitik – mit der Schädigung der Grundlagen der kapitalistischen Ökonomie und Gesellschaft umgeht. Dieser Exkurs scheint uns sinnvoll, um aufzuzeigen, dass die Klimapolitik nochmal Besonderheiten in Abgrenzung zur „gewöhnlichen“ Umweltpolitik hat.

Exkurs: Kapitalistische Produktion braucht Umweltpolitik:

Wie oben ausgeführt, nutzt die Industrie – wenn sie nicht daran gehindert wird – Boden, Flüsse und Atmosphäre als kostenlose Müllkippe. In der kapitalistischen Landwirtschaft werden Böden durch Übernutzung zerstört und Wasser durch Überdüngung vergiftet. Kapitalistische Industrie und Landwirtschaft führen also beide dazu, dass Menschen krank werden oder frühzeitiger sterben und dass ganze Landstriche wegen ihrer Vergiftung ohne zusätzlichen Aufwand nicht mehr benutzt werden können. Das Profitstreben der Unternehmen kann also sowohl für die Unternehmen als auch den Staat zu starken Kosten führen und im Extremfall sogar die Grundlagen (nutzbare Böden, gesunde Arbeiter*innen,...) ruinieren, die eine Wirtschaft überhaupt benötigt. Um dies zu verhindern, beschränkt der Staat diese Praxis: Er betreibt Umweltpolitik.

Dabei hat der Staat ein Problem: Das kostet Geld, ist „eine Belastung für die Wirtschaft“ und verhindert manches profitable Geschäft (z.B. Verbot von unkonventionellem Fracking in Deutschland). Und dieses erfolgreiche Geschäft seiner Unternehmen will der Staat ja gerade, da er daraus auch die eigene Macht und Handlungsfähigkeit zieht. Ihm stellt sich deshalb immer die Frage, wie weit die umweltpolitischen Regeln wirklich gehen müssen.

Im Ergebnis wird dann umwelttechnisch manchmal einfach gar nichts gemacht, und stattdessen in öffentlichen Reden die Schäden geleugnet oder kleingeredet. Wenn dann doch was gemacht wird, dann zumeist so: Den Unternehmen wird möglichst viel Zeit gelassen, sich möglichst günstig entsprechend der neuen Vorgaben umzustellen. Im Laufe der Zeit werden dann mal Grenzwerte festgelegt, mal bekommen Verschmutzungen einen Preis.

Auf diese Weise geht der Staat also mit den umweltzerstörerischen Ergebnissen seiner kapitalistischen Ökonomie um. Auch die insbesondere durch fossile Energienutzung hervorgerufene Klimakatastrophe sorgt für eine Schädigung der Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft. Auf diese Schädigung reagiert der Staat mit der Klimapolitik, die zur Umweltpolitik aber wesentliche Unterschiede hat.

Was unterscheidet Umweltpolitik von Klimapolitik?

Viele übliche Probleme kapitalistischer Umweltbenutzung werden durch die Klimakatastrophe noch verschärft, z.B. die Luftverschmutzung. Zusätzlich entstehen neue Probleme, die in Ausmaß und Auswirkung die bisherigen in den Schatten stellen: Ganze Landstriche können unbewohnbar werden, die Landwirtschaft wird regional schwieriger bis unmöglich, Häufigkeit und Intensität von Naturkatastrophen nehmen zu, die Übersäuerung der Meere wird massive Auswirkungen auf die Fischerei haben.

Zwischen „gewöhnlicher“ Umweltpolitik und Klimapolitik besteht nicht nur hinsichtlich der Auswirkungen ein wesentlicher Unterschied, der für den Umgang der Staaten mit den entstehenden Problemen wichtig ist, sondern auch hinsichtlich des Umfangs der erforderlichen Maßnahmen:

Umweltpolitik – soweit es um die Vermeidung von Schadstoffen geht – betrifft meist nur einzelne Branchen und behandelt umweltschädliche Wirkungen, die in vielen Fällen regional beschränkt sind. Hier geht es um die Frage, ob bestimmte Schadstoffe oder einzelne umweltschädliche Produktionsverfahren beschränkt werden sollen. Das betrifft im Regelfall nicht die Wirtschaft (und damit die nationale Konkurrenzfähigkeit) als Ganzes. Es gibt meistens auch eine weitgehende Deckung zwischen dem Gebiet, in dem die kostentreibenden Regelungen durchgesetzt werden müssen und dem Gebiet, das von den Auswirkungen der Schadstoffe betroffen ist. Mit anderen Worten: Wenn ein Staat (oder einige benachbarte Staaten) bestimmte Umweltschutzmaßnahmen beschließen, steht der Schädigung der eigenen Wirtschaft auch ein eigener Nutzen durch Schutz der Grundlagen der eigenen Macht gegenüber. Wenn z.B. strengere Maßnahmen zur Reinhaltung eines Flusses durchgesetzt werden, schädigt das die eigene Wirtschaft, schützt im Gegenzug aber auch die Gesundheit der eigenen Bevölkerung und hält sie dadurch benutzbar (bzw. erspart seiner Krankenversicherung Kosten).

Bei der Klimapolitik ist das anders: Das CO2, dessen Ausstoß vor allem reduziert werden müsste, entfaltet seine problematischen Wirkungen nicht regional beschränkt, sondern auf globaler Ebene durch Veränderung des Weltklimas. Zudem fällt es nicht bei einzelnen Produktionsprozessen an, sondern bei jeder Produktion und jedem Transport. Klimaschutzmaßnahmen betreffen also alle Branchen eines Landes in dem Maße, wie sie von fossilen Brennstoffen energieabhängig sind und schädigen so die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft insgesamt. Da Deutschland „nur“ einen Anteil von ca. 2% am weltweiten CO2-Ausstoß hat, würde selbst ein massiver nationaler Klimaschutz die Erderwärmung nur marginal verlangsamen (wenn alle anderen Staaten im gleichen Maße weiter ausstoßen).12 Rein vom Standpunkt einer allgemeinen Sorge über die Folgen der Klimakatastrophe müsste man sagen: Dann macht man es halt alleine, eine marginale Wirkung hätte das ja. Für einen Staat, der die Natur als Basis für den Erfolg in der Durchsetzung gegen andere Staaten betrachtet, ist das freilich kein Grund loszulegen. Klimaschutz im eigenen Land bringt nämlich den vollen Schaden für die eigene Wirtschaft. Soweit die getroffenen Maßnahmen wirksam genug wären, um das Klima überhaupt zu beeinflussen, hätten aber viele Staaten den Nutzen durch einen abgemilderten Klimawandel. Auch die, die ihre Wirtschaft gar nicht mit Klimaschutzmaßnahmen belastet hätten.

Klimapolitik international – Kampf um die Weltordnung

Viele Gegensätze, eine Reihe von Konflikten und das Auseinandertreten von Anspruch und Wirklichkeit der Klimapolitik erklären sich aus dem Auseinanderklaffen von wirtschaftlichem Schaden durch Klimaschutzmaßnahmen und deren beschränktem nationalen Nutzen sowie der unterschiedlichen Betroffenheit der Staaten von der Klimakatastrophe.13 Grundsätzlich sind sich die meisten Staaten aber darin einig, dass der Klimawandel ein Problem für ihren Standort geworden ist oder werden wird und daher aufgehalten oder wenigstens begrenzt werden sollte.

Weil der Bezugspunkt der Staaten aber die volkswirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit gegen andere Standorte ist, kommt es bei den Staaten zunächst zu dem Versuch, die zum Klimaschutz notwendigen Beschränkungen möglichst auf andere Staaten abzuwälzen. So hat die BRD als Basis für die angestrebte Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes erfolgreich das Jahr 1990 durchgesetzt, so dass die Pleite der sehr CO2-trächtigen DDR-Industrie und dem Abbau der Methan-auspupsenden DDR-Landwirtschaft nach der „Wiedervereinigung“ als deutscher Beitrag zum Klimaschutz verbucht werden konnte. China hingegen stellt sich auf den Standpunkt, dass es wegen der bisher geringen Industrialisierung ein Recht zu erhöhten Emissionen habe, weil es sonst nie zu den westlichen Industriestaaten aufschließen könne.

Da die Energiegewinnung zentral für den CO2-Ausstoß ist, richten sich viele klimapolitische Maßnahmen auf den Energiesektor. Eine umfassende Senkung der weltweiten CO2-Emissionen wäre vermutlich nur möglich, wenn die Energiegewinnung weltweit auf eine neue nicht-fossile Grundlage gestellt würde, was ein ziemlicher Aufwand wäre, genauso, wie die als Alternative diskutierte Abscheidung von CO2 aus der Atmosphäre. Hier besteht für Staaten immer die (begründete) Sorge, dass mit erheblichen Zusatzkosten durch die Klimapolitik zu rechnen ist. Wegen der Bedeutung der Energiekosten für alle Produktions- und Transportkosten können aus Veränderungen der internationalen Energiegewinnung und Nutzung massive Verschiebungen der weltweiten Konkurrenzbedingungen folgen.

Deswegen bleibt es nicht bei dem Streit um die Abwälzung der notwendigen CO2-Einsparungen. Sondern es gibt einen Kampf um die Neuregelung der globalen Energiegewinnung, der über die bisherigen Konkurrenzen im Energiesektor hinausgeht. Dabei versuchen Staaten aber Regelungen durchzusetzen, die ihnen nutzen oder zumindest möglichst wenig schaden, und ihnen im besten Fall einen Konkurrenzvorteil verschaffen.

Das führt bei unterschiedlichen Staaten entsprechend ihrer unterschiedlichen Voraussetzungen zu ganz unterschiedlichen Strategien. So ist für die meisten Industriestaaten die Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferländern schon länger eine ärgerliche Nebenwirkung ihrer Energiepolitik, nicht erst seit Russlands Krieg in der Ukraine. Die Erzeugung von Energie jenseits der Verbrennung von Öl und Gas ist deshalb für diese Staaten interessant – und zwar erstmal völlig unabhängig von der Klimapolitik. Zur unabhängigen Energieversorgung der nationalen Wirtschaft setzen deshalb manche Staaten auf die Förderung von erneuerbaren Energien.

Dabei geht es nicht nur darum, sich von geologischen Zufälligkeiten unabhängiger zu machen. Sondern die Entwicklung von Technologien, die es einem Staat erlauben, sich von den geologischen Zufälligkeiten der Energierohstoffverteilung unabhängig zu machen, kann auch einen Beitrag zum kapitalistischen Wachstum leisten. Wenn es z.B. mit Solarenergie möglich ist, die Energiegewinnung von solchen Zufällen zu befreien, dann liegt der Gedanke nahe, diese Technologie zu einem eigenen Exportartikel zu machen. So ist der technische Fortschritt als Mittel für neues kapitalistisches Wachstum wie immer voll eingeplant – einmal zur Minderung von Importabhängigkeiten und einmal als Mittel für Weltmarktexpansionen nationaler Produkte. Wenn regenerative Energiegewinnung zu geringen Kosten möglich ist (oder evtl. auch eine billige CO2-Speicherung) – so die Hoffnung – dann erübrigen sich vielleicht auch schädigende Beschränkungen der eigenen Industrie.

Deutschland hat das mit der Solartechnologie eine Weile lang versucht und hat sie dann der chinesischen Konkurrenz geopfert. Andere Länder wie Frankreich versuchen – gegen deutschen Widerstand – die Anerkennung der Atomkraft als klimaneutrale Alternative international durchzusetzen. Die Berechnung dahinter ist einfach: Die bestehenden französischen Atomkraftwerke können als Beitrag zum Klimaschutz deklariert werden und man hofft auf neue Exportchancen für die eigene Nukleartechnologie. Für die nicht industrialisierten Länder bleibt bei diesem Programm oft nur die Alternative, sich als Standorte zum Anbau von Energiepflanzen (z.B. Raps) und Solarkollektoren anzubieten – oft genug auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion.

Aus diesen Gründen ist die Klimapolitik ein Kampf der weltweit erfolgreichen kapitalistischen Staaten um die Unterordnung aller anderen Staaten unter ihre Definition von „sauberer“ Energiegewinnung, in dem es nicht um eine vernünftige und möglichst wenig umweltschädliche Energieproduktion geht, sondern um die Grundlagen ihrer wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit. So eröffnet die Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit ein neues Feld der imperialistischen Konkurrenz.

Fazit: Klimapolitik – mit Volldampf in die Klimakrise!

So ging und geht die Klimapolitik voran. Maßnahmen, die Kostennachteile für die eigene Volkswirtschaft bringen, werden so gut es geht vermieden oder hinausgezögert. Maßnahmen, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft verbessern, werden durchgezogen – auch gegen gesellschaftliche Widerstände.

Deswegen lobt die Politik die harmloseren Klimaproteste für ihr ehrenwertes Anliegen und erinnert zugleich daran, dass vieles zu bedenken ist. „Wir müssen Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft auf der einen Seite mit den Zielen des Klimaschutzes versöhnen“ (heißt es bei allen Parteien von CSU bis Linkspartei). Gegen einen radikalen Idealismus der Klimapolitik, der den Staat ernsthaft auf Klimaschutz (wie ihn die Idealist*innen verstehen) verpflichten will und dabei den Betrieb stört, wird hingegen mit ziemlicher Härte vorgegangen.

Mit einer kapitalistischen Nationalökonomie ist Klimapolitik eben auch schwerlich anders zu haben, weil Klimaschutz immer nur ein dem Profitinteresse untergeordnetes Anliegen ist und auch das noch neben vielen anderen konkurrierenden Interessen.

Das Ziel, die Klimakatastrophe abzumildern, müsste also gegen die herrschende Politik durchgesetzt werden.

PS: Musst du fürs Klima deine Heizung runterdrehen?

Vielen, denen das Thema Klimaschutz am Herzen liegt, werden bemerkt haben, dass wir über eine Sache fast gar nicht reden: Was können „wir“ für das Klima tun? Gemeint ist damit zumeist nicht, gegen die Nationalstaaten und ihre Ökonomien vorzugehen, sondern bei sich selbst „anzufangen“ und auf klimaschädliche Aktivitäten zu verzichten. Der Verzicht auf private Flugreisen oder heiße Vollbäder soll angeblich der Beginn eines Prozesses eines weltweiten Umstiegs auf ein klimaneutrales Wirtschaften, Arbeiten und Leben sein. In Wirklichkeit sind das Formen moralischer Selbstberuhigung mit geringem Effekt. Denn das private Energiesparpotenzial ist sehr begrenzt. Energieeffizientere Haushaltsgeräte müssen erstens überhaupt angeboten und zweitens für die Kund*innen bezahlbar sein. Privatmenschen haben ihren Mobilitätsbedarf auch nur eingeschränkt in der Hand. Der Arbeitsplatz liegt da, wo es dem Unternehmen passt, und wohnen muss mensch da, wo mensch es sich leisten kann. Der Durchschnittsmensch ist im Kapitalismus nunmal eine abhängige Variable der Entscheidungen von Staat und Kapital. Wer glaubt durch privaten Verzicht und achtsamen Einkauf einen relevanten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, macht sich was vor.14

 

1CO2 ist zwar das wichtigste, aber nicht das einzige Treibhausgas. In Statistiken zur Entwicklung der Klimakatastrophe werden die anderen Treibhausgase zur Vergleichbarkeit meist in CO2-Äquivalente umgerechnet. So wirkt z.B. Methan auf 100 Jahre betrachtet ca. 28-mal so stark auf die Erderwärmung wie CO2.

2Neben den Unternehmen gibt es auch landwirtschaftliche Betriebe, diese funktionieren aber etwas anders und der Staat hat auch ein anderes Interesse an ihnen. Auch wenn der Anteil am CO2-Ausstoß geringer ist als der der Industrie, ist er auch nicht unwesentlich. Dazu gibt es hoffentlich demnächst einen Text von uns.

3In manchen Ländern verbieten Staaten z.B. die Vergiftung von Flüssen und geben dem CO2-Ausstoß einen Preis. Was die staatliche Kalkulation hinter solchen Maßnahmen ist, erklären wir in diesem Text später.

4Geld, das ein chinesischer Autohersteller mit dem Export nach Kanada verdient, kann der deutsche Hersteller in Kanada nicht mehr verdienen.

5Wer tiefer in die Staatenkonkurrenz und den Imperialismus einsteigen möchte, kann dies z.B. hiermit tun: https://gegen-kapital-und-nation.org/was-ist-imperialismus/

6Während mittlerweile zwar die Betreibung von erneuerbaren Energieerzeugern oft rentabler ist als die Betreibung von Gas- und Kohlekraftwerken, ist die Umstellung auf erneuerbare Energieträger meist teurer als die weitere Nutzung von den bereits bestehenden konventionellen Kraftwerken.

7Zudem werden bei der Erdölgewinnung und beim Gastransport erhebliche Mengen an Methan freigesetzt, was ebenfalls ein wichtiger Antreiber der Klimakatastrophe ist.

8Diese Zahlen beziehen sich auf Deutschland, werden also in anderen Staaten leicht variieren, z.B. in Staaten mit einem größeren Agrarsektor. /web/20230922143213/https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Klimaschutz/klimaschutz-in-zahlen.pdf?__blob=publicationFile&v=8 ; S. 22.

9Auch die Lebenhaltungskosten steigen natürlich, wenn das Benzin für das Auto oder der elektrische Strom für den Haushalt teurer werden. Das ist aber nur das Problem der Leute, die sich bei steigenden Kosten entscheiden müssen, worauf sie verzichten wollen. Für das Funktionieren des Kapitalismus wird das erst zum Problem, wenn sich die Arbeiter*innen Dinge, die sie unbedingt brauchen, nicht mehr leisten können – oder, wenn sie das durch Protest und Widerstand zum Problem machen.

10Große Erdölunternehmen befanden sich wenigstens teilweise in Staatsbesitz (Shell, BP), weil private Unternehmen nicht genügend Kapital für die notwendigen Investitionen aufbringen konnten. RWE als lange Zeit mit Abstand größter Elektrizitätsversorger der BRD stand früher durch eine aktienrechtliche Ausnahmeregelung unter dem Einfluss der an ihr beteiligten Kommunen, auch wenn diese nicht die Aktienmehrheit hielten.

11Wenn z.B. nicht die ganze Energieversorung auf Erdöl basiert, dann hat ein steigender Ölpreis weniger negative Effekte auf das Wirtschaftsleben, als wenn alle Unternehmen vom Erdölpreis abhängen.

12Bei größeren staatlichen Playern wie den USA (13%) und China (30%) sieht das zwar etwas anders aus, aber ein massiver Klimaschutz für diese Staaten würde auch massive Kosten bedeuten.

13Die Dringlichkeit des Problems hängt nämlich auch von der erwarteten Betroffenheit im eigenen Land oder z.B. bei wichtigen Handelspartnern ab. Für viele kleine Inselstaaten z.B. sind vermutlich schon 1,5 Grad globale Erwärmung zu viel. Einzelne Staaten mögen sich hingegen sogar vom Klimawandel insgesamt mehr Vor- als Nachteile erwarten, z.B. Russland durch bessere Nutzbarkeit der Polarregionen.

14Wer mehr Argumente für die Kritik der Konsumkritik wissen will, kann in unserer Einführung in die Kapitalismuskritik fündig werden, insbesondere auf den Seiten 43-48.

https://gegen-kapital-und-nation.org/page/die-misere-hat-system-kapitalismus/